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21.09.2014

Chatni

Einige unerlässliche Gewürze für ein indisches Essen. Von Links oben:
Chilischoten, Habaneros, Ingwerwurzel, Limette, Knoblauch;
Vanilleschote, Lorbeerblätter, Koriandersamen, Anis, Curryblätter:
Senfsamen, Kardamonkapseln, Nelkenstempel


Vor 20 Jahren hatte ich eine längere Zeit in Zentralindien beruflich zu tun. Zuvor, seit Mitte der 1980er Jahre, habe ich sehr viel Zeit in London verbracht. Dort hatte ich die indische Küche bereits überaus schätzen gelernt. Vermutlich findet man sie dort auch in ihrer besten und authentischsten Form ausserhalb des Subkontinents, zumindest wenn man sich etwas auskennt im Überangebot der Metropole. Die dort gebotenen Schärfegrade können mitunter auch schon erheblich sein und so entsprechend vorbereitet, war diese Erfahrung als Nagelprobe für meine Zeit in Hyderabad als gut vorbereitet angedacht. Dort hatte ich dann durchaus Gelegenheit diesen Erfahrungshorizont regelmässig eklatant ins wirklich "indische" zu erweitern. Zunächst darf angemerkt werden, ich benötigte mindestens zwei gute Wochen um mit der allgemein selbstverständlichen Schärfe und Würze der Speisen dort unter Beibehaltung meiner physischen Unversehrtheit klarzukommen. Dazu bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, dass ich sehr gerne ungewöhnlich scharf zuvor in auch in Europa gegessen habe. Der Begriff "Schärfe", so wie er in Deutschland benutzt wird ist nur sehr unzureichend geeignet, auch das britische Prädikat "hot" taugt wenig, die in Indien gemachte Erfahrung umfänglich zu vermitteln. Aber, das ist die gute Nachricht, man gewöhnt sich nicht nur daran, sondern man beginnt auch bei 38°C diese Schärfe auch langsam selbstverständlich und normal zu empfinden. Ich erinnere mich an ein Curry von Lammhirn, das mich dann trotzallem für etwa 15 Minuten ausgeknockt hat…, fieberige Schweissausbrüche, Herzrythmusstörungen, Atemnot alles inklusive.

Eine beliebte Ergänzung zum nachwürzen (!) oder auch als Beilage, vor allem in der südindischen vegetarischen Küche sind die Relishes und Chutneys. Beide Begriffe stammen natürlich aus der englischen Sprache und sind Souvenirs der Zeit des British Empire. Relish bedeutet "Würzsauce" und Chutney ist von "chatni" (Hindi für "zum lecken") abgeleitet übernommen. Die Engländer differenzieren zwischen eher süsslichen marmeladigen Saucen als "Chutney" und für würzigere Varianten als Beilage oder Vorspeise das "Relish".
Die vegetarische Form der indischen Küche des Südens ist auch gleichzeitig die schärfste auf dem Subkontinent. Die Chatnis die ich dort gegessen habe, werden tatsächlich auch zum Frühstück gereicht mit einem Nan (Fladenbrot) und die würzigere Varianten gibt es dann zum Nachschärfen der eigentlichen Gerichte (z.B. zu einem Dal, ein typisches eingekochtes Linsengericht der Hindu), welches vornehmlich mit den Fingern gegessen wird. Nicht nur das war zunächst für mich sehr gewöhnungsbedürftig, aber auch zu einem ersten Tee am Morgen gleich ein Chutney mit Brot, so scharf, dass man keine Luft mehr bekommt, das fand ich auch dauerhaft etwas schwierig. Ich habe dann längerfristig auf das "Continental Breakfast" umgestellt, schließlich wollte ich ja nicht vom Regen in die Traufe zum "British Breakfast" mit Bohnen, Würstchen und Speck… Die Orangenmarmelade schließlich, war die mit Abstand beste, die ich je gegessen habe, da träume ich noch heute davon! "Rough Cut", wie der Engländer sagt, wenn er 5mm dicke Scheiben der Orangenschale in der Marmelade meint, aber orangiger, bitterer und intensiver als jede Orange als reine Frucht es vorher war.

Paprika-Apfel-Chutney

Und so gut sind auch die Chutneys in Indien. Häufig werden subtil zusammengestellte Mischungen aus Gewürzen, Nüssen, Früchten und mit Gemüsen äusserst variantenreich kombiniert. Dazu kommen Aromen, Essenzen und Fermentationsprodukte zur Steigerung der Geschmacksdichte, die nirgendwo sonst in solcher Intensität kultiviert wurden. In Indien können diese komprimierten Geschmacksbomben jede Vorstellung von Schärfe und Komplexität sprengen, dabei wird aber auch ausgesprochen nachhaltig die europäische Geschmackspräferenz in Richtung Orient verschoben. Ich würde dort gerne mal an einen fünfjährigen Kochkurs teilnehmen, – Verpflegung inklusive.


Tomaten-Kürbis-Limonen-Chutney


Heutzutage sehne ich mich von Zeit zu Zeit nach diesen Geschmacks-Explosionen, diese sind mir äußerst nachhaltig in Erinnerung geblieben. Deshalb habe ich mir einige Originalrezepte von einem damaligen Freund, bzw. dessen Mutter geben gelassen, in indischen Haushalten kochen nie die Männer. Mit diesen Rezepten gelingt es dann auch einmal wieder den authentischen Gaumenkitzel zurückzuholen. Dabei spielt der gekonnte Einsatz von Habanero-Chillisorten bei mir heutzutage eine entscheidende Rolle. Kein anderes hier erhältliches Chiligewächs ist schärfer aber auch aromatischer. Vor allem gefällt mir deren unglaublich eigenständiger Geschmack, der in den ätherischen Ölen der Frucht gebunden ist. So halte ich es für eine große Kunst, an der ich mich noch trainiere, den Einsatz gezielt zu dosieren. Sind sie zu lange gekocht können sie extrem scharf sein, haben aber ihren wundervollen Geschmack verloren. Sind sie nur kurz vor Ende der Siedezeit eingebracht, verteilen sie häufig ihr Aroma nicht umfänglich. Führt man sie später kalt zu, dies in der richtigen Dosis und lässt das entsprechend durchziehen kann es wundervoll werden, stimmt diese aber Dosis nicht, ist das Desaster vorprogrammiert…

Ich möchte eigentlich mich hier nicht zum Chutney-Spezialisten erheben, zu eingeschränkt sind meine Erfahrungen und Erkenntnisse diese perfekt zu bereiten. Deshalb verzichte ich hier auf detaillierte Rezepte und möchte den Lesern mit diesen Zeilen Mut zum Experiment machen, sich selbst einige Varianten zu erarbeiten, da genug Raum für eigene Ideen und Vorstellungen vorhanden ist. Grundsätzlich ist es ähnlich dem hiesigen "Einmachen" oder "Marmelade kochen". Durch Zucker oder Essig als Konservierungsmittel, werden die gekochten Gemüse-Frucht-Zusammenstellungen in Gläsern konserviert. Im wesentlichen unterscheiden sich diese aber durch den umfänglichen Einsatz orientalischer Gewürze und die teils widersprüchlichen Kombinationen von Süssem und Herbem. In den meisten Fällen werden zunächst die Samen, Kapseln, Blätter, Schoten und gehackte Zutaten (Zwiebeln, Ingwer, Nüsse, Knoblauch, Chili) in heissem pflanzlichem Öl angeröstet und dann mit Gemüse- und Fruchtstücken gelöscht und unter Zugabe von Zucker oder Essig eingekocht. Grundsätzlich besteht immer die Schwierigkeit im heissen Zustand das Gekochte auf Geschmack und Komplexität zu überprüfen, da sich diese Eigenschaften kalt komplett verändern. Durch die Hitze werden Aromen stärker wahrgenommen als im kalten Zustand, so kann Essig heiss unerträglich sein, der kalt in den üblichen Mengen von "eingelegten Gurken" eingesetzt, durchaus pikant wirken kann. Dies betrifft vor allem die tragenden Gewürze und über allem das Chili. Da ist Erfahrungssuche angesagt, da auch die Vorstellungen über die fertigen "Chatni" sehr unterschiedlich ausgelegt werden können. Als grober Vorschlag für einen ersten Beginn und für etwa 1 kg Chutney wäre der Einsatz von etwa einer halben Habanero-Schote ohne Kerne, und je einem halben bis zu einem Teelöffel der abgebildeten Gewürze (Senfkörner, Lorbeer- und Curryblätter, Koriandersamen, Kardamonkapseln, 1 Limone mit Schale, reichlich Knoblauch, etc. für 300 g Zucker bzw. 200ml Essig auf 800 g Obst bzw. Gemüse, Tomatenmark, Zwiebeln, etc. ) denkbar. Die Limone sollte heiss abgerieben werden, auch eventuelle Bio-Zitronen. Jetzt im Herbst gibt es ein reichliches Gemüseangebot, Kürbis, Gurken, Rettiche, Wurzelgemüse und reichlich Obst. Übrigens für Chutney empfehlen sich kleiner Einkochgläser zwecks besserer Portionierung.

Auch ein Grund meine originalen Rezepte nicht an dieser Stelle zu veröffentlichen ist der deren Missverständlichkeit für den "durchschnittlichen Mitteleuropäer", die meisten davon wären häufig kaum geniessbar… Manchmal wird von 500g Chili bei insgesamt 1,5 kg Chutney geredet! Dazu kommen wir an anderer Stelle noch, das bereits gezeigte Kimchi hat bald Saison, da kommen auch schnell mal Unmengen Chili zum Einsatz!


Viel Erfolg, Volker

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